Die wandernden Grenzen der Biologie
Programmförderung des ZfL durch das BMBF 2014–2019
Ausweitungen biologischer Denkmuster und Erklärungsmodelle auf außerbiologische Gegenstände erfolgen seit langem – besonders prominent in den Projekten einer evolutionären Erkenntnis-theorie, evolutionären Ethik und evolutionären Ästhetik. Sie wurden in der Vergangenheit zumeist von biologischer Seite betrieben und von geisteswissenschaftlicher Seite scharf kritisiert. In den letzten Jahren ist dagegen eine Aufnahme verwandter Projekte von Geisteswissenschaftlern zu beobachten, die den Versuch unternehmen, evolutionstheoretische Denkfiguren für ihre Felder fruchtbar zu machen; in Deutschland sind dies z.B. Karl Eibl (2004, 2009) für die Literaturwissenschaft, Winfried Menninghaus (2003, 2011) und Horst Bredekamp (2010) für die Ästhetik sowie Wolfgang Welsch (2011, 2012) für die Anthropologie. Der grundlegende Theorierahmen wird in diesen Ansätzen meist explizit von der biologischen Evolutionstheorie geliefert; die der Biologie zugeschriebene Leitfunktion verbindet sich allerdings auch teilweise mit deren disziplinärer Auflösung zugunsten überdisziplinär anwendbarer Argumentationsmodelle wie des adaptationistischen Denkens. Parallel zur Verstärkung der biologischen Perspektive auf den Menschen (»Naturalisierung des Menschen«) vollzieht sich in den letzten Jahren die Anwendung traditionell humanwissenschaftlicher Kategorien auf Tiere (»Anthropologisierung der Tiere«), etwa der Begriffe der Kultur, der Sprache oder des Geistes (de Waal 2001; Perler & Wild, Hg. 2005). Untersucht wird in dem Projekt, inwieweit die biologische Inanspruchnahme und funktionalistische Interpretation solcher traditionell humanwissenschaftlicher Kategorien wie ›Sprache‹, ›Geist‹ oder ›Kultur‹ zu einer Verschiebung, wenn nicht Auslöschung ihres traditionellen Bedeutungskerns führen würde.